Montag, 23. Mai 2011

Jaaaqueliiine

Jaquelines Auftritt fand an einem der wenigen warmen Nächte des letzten Sommers statt. Er begann irgendwann zwischen ein und zwei Uhr nachts.
Sie hatte wahrscheinlich mit ihren Kumpels im nahegelegenen Park gesessen. Und jetzt, mitten in der Nacht, schrie sie an der Mauer gegenüber unseres Hauses ihren Liebeskummer heraus oder das, was sie dafür hielt:
„Ohhh, ich war noch nie in meinem Leben sooo verliiiiebt“, kreischte sie „aaaach, es tut sooo weh... .“
Eine viertel Stunde später standen fast alle Anwohner auf ihren Balkonen – an Schlaf war nicht mehr zu denken, denn Jaqueline kam gerade erst in Fahrt. Anfängliches Mitleid schlug bald in Amüsement um, das ganze war einfach zu theatralisch. Sie warf sich mit lasziver Geste gegen die Parkmauer und es sah sehr danach aus, als habe sie das aus einem Musikvideo. Da ihre Gratisshow einfach kein Ende nehmen wollte, reagierten besonders die Eltern kleiner Kinder bald ungeduldig und wütend.
„Hau doch ab und heul zuhause weiter“, war da noch einer der netteren Vorschläge. Aber Jaqueline ließ sich von solcher Ignoranz natürlich nicht beirren.
Die Gruppe von Jungs zu denen sie gehörte, stand peinlich berührt einige Meter von ihr entfernt. Sie wären gerne gegangen, doch ganz unbeeindruckt ließ sie der Auftritt dann doch nicht. Sicher war ihnen auch klar, dass die um ihre Nachtruhe gebrachten Anwohner es nicht zulassen würden, wenn sie einfach so ohne ihre stimmgewaltige Bekannte abziehen würden.
Sie versuchten es also mit einem halbherzigen: „Eh komm endlich, mach nich´ so´n Stress hier“ - aus sicherer Entfernung.
Jaqueline versuchte diese unsensible Aufforderung nach Kräften zu ignorieren. Ihr Geschrei richtete sie fortan nur noch an die Mauer oder an uns auf den Balkonen. Möglich dass einer der Jungs das Ausgangsobjekt ihres Liebeskummers war, erkennen ließ sich das nicht.
Als einer der Zuschauer bei uns aus den Rängen die gute Jaqueline drauf hinwies, dass an die Mauer tagsüber die Hunde pinkeln, lies sie sich – ganz Profi - nichts anmerken, verlagerte ihre Aktion aber daraufhin allmählich von dort weg. Als sie lautstark überlegte sich von einer Brücke zu stürzen, wurde dieser Angebot von einzelnen meiner Nachbarn so hoffnungsvoll aufgenommen, dass sie nie wieder darauf zurück kam.
Und warum wir überhaupt wissen, dass sie Jaqueline hieß? Ganz einfach, weil sie ein sehr ausgeprägtes Gespür für Publicity besaß. Sie sprach ganz einfach von sich selbst in der dritten Person. Das ging dann etwa so: „Hach Jaaaqueliiine, ich hätte nie gedacht wie weh so was tut, aber du musst stark sein, Jaaaqueliiine.“
Irgendwann hatten ihre Kumpels wohl Mitleid mit uns Anwohnern, vielleicht sahen sie auch ein, dass Jaqueline die Aktion nie von selbst beenden würde. Sie sammelten sie also ein. Nachdem sie noch leichten aber mit viel Geschrei verbundenen Widerstand geleistet hatte, ließ sie sich von ihnen wegbringen.
Ihr Auftritt muss als großer Erfolg gewertet werden, er ist bis heute unvergessen! Nicht alle Mieter meines Hauses kennen einander, aber alle kennen seit dieser Nacht Jaqueline.
In diesem Jahr ist Jaqueline nicht wieder aufgetaucht, vermutlich ist ihr der Rahmen für einen Auftritt inzwischen zu klein. Aber früher oder später wird sie ein neues Publikum brauchen, das ist sicher.
Wir werden sie also bestimmt eines Tages wieder sehen, schätzungsweise im Fernsehen, in einer der zahlreichen Talkshows oder Reality-Soaps. Vielleicht hält sie sich auch für eine Sängerin und geht zu „Deutschland sucht den Superstar“, dann würde sie mit Dieter Bohlen wenigstens auf einen treffen, der es nicht besser verdient!

(erschienen 16.Dezember 2009 in der Berliner Zeitung "Unterm Strich")

Ein Hoch auf den Duracellmann!

Ich bin in meinem Leben schon einigen Männern begegnet, die ganz ähnlich funktionieren wie der bekannte rosa Durecellhase: einmal angetickt laufen oder trommeln sie unendlich lange vor sich hin. Dafür braucht so ein Duracellmann anders als der Hase nicht einmal eine Batterie. Das ist schön, kann aber auch ein Nachteil sein, da man dem Mann anders als dem Hasen auch im absoluten Notfall nicht einfach so die Energiezufuhr entfernen kann.
Ein klassischer Vertreter des Typus „Duraceller“ ist mein Onkel Thomas. Einmal machte ich den Fehler, ihn zu bitten, auf der Menuleiste meines Computers etwas zu ändern. Als ich etwas später wieder nach ihm sah, hatte er mir bereits meine Benutzeroberfläche komplett umgestellt, weil es so „viiiel viiiel praktischer“ sei und war außerdem dabei, ein neues Karteiprogramm zu installieren und mein altes gleich zu löschen. Jetzt ist alles perfekt auf meinem Computer. Leider gibt es Dateien, die ich bis heute nicht wiedergefunden habe.
Frage nie einen Duraceller bei kniffeligen Aufgaben leichtfertig nach seiner Unterstützung. Ist sein Ehrgeiz erst geweckt, gibt es kein Halten. Und selbst vermeintlich kleine oder einfache Aufgaben, können sich als echte Herausforderung entpuppen. Ich habe einmal unbedacht einen Freund gebeten, mir einige CDs zu kopieren. Bei Rückgabe der Kopien wies er darauf hin, dass bei einer der CDs die Kopiersperre so ausgeklügelt war, dass es ihn ein ganzes Wochenende gekostet habe, sie zu überwinden. Ich traute mich dann nicht mehr zu sagen, dass es mir gerade auf diese CD gar nicht ankam.
Ich hätte also gewarnt sein können, als ich meinen damaligen Freund in der heißen Endphase meiner Diplomarbeit arglos nach einer Möglichkeit fragte, die mir das gleichmäßige Zeileneinrücken bei Abschnittsüberschriften automatisiert. Am Ende hatte ich einen halben Tag verloren und meine vergeblichen Versuche meinen Computer wieder an mich zu bringen, wären mehrmals beinahe in Gewalt ausgeartet. Aber das mit der automatischen Einrückung klappte danach wirklich tadellos.
Weil man den fraglichen Männern anders als den Duracellhasen nicht die Batterie entfernen kann, braucht es für sie eine sozialverträgliche Möglichkeit, ihre überschüssigen Energien abzuführen. Sonst sind sie irgendwann dabei, die Wohnung komplett mit Fliesen auszulegen, sie versuchen vielleicht tapfer die gemeinsame Kaffeemaschine mit ihrem Computer zu vernetzen oder verschreiben sich mit ganzer Seele dem Ziel, den aktuellen internationalen Rekord im Hot Dog Schnellessen zu brechen. Was Duracellern alles einfällt, wenn man nicht auf sie aufpasst, lässt sich sehr gut im Guinnessbuch der Rekorde nachlesen. Dort zeigt sich auch, dass unter Duracellern Männer deutlich in der Überzahl sind – warum auch immer.
Man sollte Duracellern nie direkt vor dem Essen eine Aufgabe stellen, auch wenn es sich dabei um etwas vermeintlich Einfaches handelt. Im harmlosesten Fall wird das Essen kalt, im schlimmsten Fall kann es sein, dass der Kerl dabei verhungert.
Dabei sind die meisten Duraceller wichtige Stützen unserer Gesellschaft. Wir haben ihnen einige der größten Erfindungen der Menschheit zu verdanken. Es ist anzunehmen, das es sich sowohl bei Karl Benz als auch bei Thomas Edison um waschechte Duraceller gehandelt hat.
Und ein Duraceller ist auch genau derjenige, den man braucht, wenn man beispielsweise ein Besteckmesser in die Außentrommel seiner Topladerwaschmaschine versenkt hat. Nachdem ich dieses Kunststück einmal vollbracht hatte, wandte ich mich nach ein paar erfolglosen eigenen Versuchen das Problem selbst zu beheben, an meinen Exfreund. Ich hatte bei ihm noch etwas gut, weil ich ihm erst kürzlich zu einem preiswerten Garagenplatz für eines seiner Autos verholfen hatte, an denen er in seiner Freizeit in Duracellmanier rumzuschrauben pflegt. Er machte sich daran, das Besteckmesser mit einem von innen durch die Perforierung der Trommel gestochenen Basteldraht außen an der Trommel zu befestigen und diese dann nach oben drehen. Diese Idee hatte ich auch schon gehabt. Aber die Tatsache, dass man in die Trommel aus Platzgründen nicht mit beiden Händen gleichzeitig arbeiten kann, machte das Ganze zu einer Aufgabe für einen begnadeten Duraceller wie ihn. Er brauchte für das Messer geschlagene vier Stunden, Stunden in denen er nichts essen wollte, wenig redete und nicht einmal etwas trank.

Ich schlug vor, ihn für das Guinnessbuch der Rekorde für „schnellste einhändige Entfernung eines Besteckmessers aus einer Topladerwaschmaschine mit Hilfe eines Basteldrahts“ anzumelden. Die Idee zerschlug sich aber, denn er hatte dann doch keine Lust, dass ganze vor einem vereidigten Gutachter zu wiederholen.
Die Waschmaschine arbeitete danach noch viele viele Jahre messerfrei und tadellos. Deshalb: Lang leben die Duraceller!

PS: Und wie man es schafft, ein Besteckmesser sachgerecht in einer Topladerwaschmaschine zu versenken, erzähle ich vielleicht ein andermal!

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